Von Lehrplanreformen und Lieblingsfächern: Unser Interview mit Christian Piwarz

Schulen in der Corona-Pandemie und »Schulen der Zukunft«

Julius: Zweifellos blicken wir nun auf ein ganz besonderes Schuljahr zurück. Jeder konnte in diesem Jahr selbstverständlich positive als auch negative Erfahrungen sammeln – das ist ja ganz subjektiv. Deshalb interessiert uns, wie Sie denn das vergangene Jahr als Kultusminister einschätzen und um welche Erfahrungen sie dabei reicher geworden sind.

Es war wirklich ein sehr, sehr schwieriges Schuljahr. Ein Schuljahr, wo wir vielleicht ein Stück zu euphorisch gestartet sind, in der Hoffnung, besser durchzukommen – Wo wir aber in der zweiten und dritten Welle gemerkt haben, dass wir an Schulschließungen nicht vorbeikommen und wir Konsequenzen ziehen mussten, gerade für das Frühjahr. Natürlich haben wir gemerkt, wo insbesondere Problemstellen gelegen haben: Das System, das eigentlich davon lebt, dass alles in der Schule stattfindet, wurde plötzlich auf null Prozent Präsenzunterricht »zurückgeschleudert«. Das ist für alle Beteiligten eine unwahrscheinliche Herausforderung, aber auch eine unwahrscheinliche Anstrengung gewesen. Insofern:

Natürlich kann man viel sagen, was besser laufen müsste. Aber trotzdem will ich immer voranstellen, dass alle, die beteiligt waren, sich ganz überwiegend große Mühe gegeben haben, die Situation trotzdem erträglich zu machen – vor allen Dingen natürlich für die Schülerinnen und Schüler. Aber wir haben auch gemerkt, dass wir nach Möglichkeit nicht wieder in so eine Situation kommen dürfen. Denn selbst wenn Digitalisierung und digitale Lerninhalte gut funktionieren, was sie nicht überall tun: Dieser direkte Kontakt zwischen Schülern und Lehrern wird durch nichts ersetzt.

Das ist – glaube ich – eine zentrale Lehre aus Corona: dass auch diejenigen, die geglaubt haben, dass uns digitale Angebote schon ganz gut über die Zeit bringen, jetzt auch merken, dass es diesen unmittelbaren Austausch braucht.

Umgekehrt: Was ich positiv finde ist, dass wir durchaus in der Lage sind, bestimmte Inhalte in einzelnen Fächern oder Jahrgangsstufen auch außerhalb des reinen Schulgebäudes stattfinden zu lassen. Wir sagen da immer “außerschulische Lernorte” dazu. Da, wo man Wissen und Kompetenzen auch dort vermittelt bekommen kann – vielleicht sogar besser als im Schulgebäude! Es ist also in der Tat gerade für ältere Jahrgänge möglich, sich vielleicht den einen oder anderen Inhalt auch zu Hause aneignen zu lassen. Neben den ganzen negativen Erfahrungen aus Corona ist es also jetzt eine wichtige Aufgabe, auch die positiven Schlüsse zu ziehen. Wie kann man schulischen Alltag in Zukunft organisieren? Muss zwingend alles noch im Schulgebäude stattfinden oder können wir einzelne Punkte vielleicht auch auslagern? Diese Debatte müssen wir jetzt alle, die daran beteiligt sind, führen: die Lehrer genauso wie die Eltern, aber natürlich auch die Schüler. Somit können wir auch Erfahrungen aus Schülersicht einfließen lassen und dann sagen: »Okay, so können wir schulischen Alltag in der Zukunft anders und vor allem besser gestalten.«

Julius: Das ist ja schon eine ganze Menge an negativen als auch positiven Aspekten. Gerade auf dieses Worst-Case-Szenario »Was ist, wenn…?« kommen wir später noch einmal zu sprechen. Aber erst einmal möchte Emilia noch eine Frage an Sie loswerden.

Emilia: Für uns war es ein ganz schweres Schuljahr. Wir möchten deshalb gern wissen, wie es für uns im Sommer weitergeht. In einigen Bundesländern, beispielsweise in Baden-Württemberg, wird bereits über eine Verkürzung der Sommerferien nachgedacht. Auch andere Optionen wie beispielsweise fakultative Sommerschulen sind im Gespräch. Welche dieser Optionen kommen für Sie für den Freistaat Sachsen in Betracht?

Also die erste Frage war ja, wie es in diesem Sommer weitergeht. Ich will ganz klar antworten: mit Sommerferien. Und zwar mit  vollen sechs Wochen, die sich wirklich alle verdient haben. Ich glaube, insbesondere ihr Schüler braucht da etwas Erholung und Abstand von dem, was ihr erlebt habt. Genauso brauchen aber auch die Lehrerinnen und Lehrer die Zeit des Durchschnaufens und des Vorbereitens auf das nächste Schuljahr. Deswegen haben wir auch sehr deutlich gesagt, dass wir irgendwelchen Verkürzungen von Sommerferien ablehnend gegenüberstehen. Wir werden in diesem Jahr – bis auf einzelne Maßnahmen, die möglich sind – auch keine Sommerschule oder Ähnliches anbieten. Wichtig ist uns, dass dort, wo Lernrückstände entstanden sind – und das ist ja zwischen den einzelnen Schulen und Klassenstufen sehr unterschiedlich – das Problem konsequent und konzentriert ab dem kommenden Schuljahr angegangen wird, aber eben nicht in den Sommerferien. Wir werden zwei größere Dinge organisieren, die in den Sommerferien stattfinden können: zum einen die Thematik Schwimmunterricht, der vor allem die Grundschüler betrifft. Dort möchten wir auch mit Gutscheinen gezielt Angebote unterbreiten. Wir werden außerdem eine Initiative zum Thema Ferienpraktika starten, das betrifft insbesondere die älteren Schüler. Da kann man über eine Homepage die Möglichkeit nutzen, unter verschiedenen Angeboten Praktikumsplätze auszuwählen. Das ist nicht zuletzt für die Klassenstufen hilfreich, deren Pflichtpraktikum im letzten Schuljahr ausgefallen ist: So kann man die Ferien dafür individuell auf freiwilliger Basis dafür nutzen.

Das Hauptaugenmerk liegt aber nach wie vor auf dem nächsten Schuljahr, um gut zu starten und Lernrückstände aufzuholen. Der Sommer ist zur Erholung da – Das sollten wir uns wirklich alle vornehmen in der Hoffnung, dass es uns gelingt, ein bisschen Abstand vom Alltag zu bekommen.

Julius: Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir alle sehr wichtig finden: Dass man eben wertschätzt, was in der häuslichen Lernzeit geleistet wurde. Viele hatten bei Meldungen über verkürzte Sommerferien, die ja in gewisser Weise aberkennen, was in der Lernzeit geleistet wurde, großen Unmut. Es geht dabei natürlich nicht nur um schulische Aspekte, nicht zuletzt mentale Faktoren spielen da sehr stark mit hinein.

Ich will das auch nochmal dahingehend betonen, dass das ja auch kein verlorenes Schuljahr war. Diese Debatte, die einige gern aufmachen und dann sagen »Müssten wir das Schuljahr nicht in Gänze wiederholen?« verkennt ein bisschen, was ihr erlebt habt und was eure Lehrer für euch getan haben. Ihr habt ja auch eine Menge dazugelernt! Sowohl was Unterrichtsstoff betrifft, aber auch, was andere Dinge betrifft. Deswegen ist es auch kein verlorenes Schuljahr. Es war vielleicht ein schwieriges, aber keines, was komplett wiederholt werden sollte. Wir sollten stattdessen eben genau hinschauen, wo Defizite entstanden sind und entstandene Rückstände im nächsten Schuljahr aufholen. Was ich auch nochmal ganz deutlich sagen möchte: Wir sollten uns auch die Zeit nehmen, diese Rückstände aufzuholen. Oft wird ja behauptet, dass das Kultusministerium »über den Sommer mal dafür sorgen müsse, dass alles geregelt wird« und die Lernrückstände über den Sommer aufgeholt werden. Das springt aber zu kurz, es überfordert Schüler und Lehrer. Wir brauchen die entsprechende Zeit und sollten uns nicht unter einen falschen Druck setzen. Am Schluss würdet ihr Schüler darunter leiden, das geht nicht.

Julius: Was dieses schon sehr oft beschriebene Schuljahr konkret schwer gemacht, war ja die häusliche Lernzeit. Eben diese häusliche Lernzeit wurde in den meisten Schulen in Sachsen mit LernSax absolviert. Ich glaube, wir sollten da jetzt nichts beschönigen: Gerade zu Beginn der Schulschließungen hat das eher weniger gut geklappt. Das sorgte natürlich für Frust und Unmut unter allen Beteiligten. Wir wollen aber nicht weiter darauf herumhacken, sondern fragen, welche Schlüsse Sie denn aus dieser Misere gezogen haben. Gibt es konkrete Pläne, dass man da mehr investiert, Systeme verbessert und dergleichen?

Wir haben ja zuallererst schon einmal recht zeitnah reagiert als wir gemerkt haben, dass die hohe Anzahl an Nutzern das System an die Grenzen und manchmal auch darüber hinaus gebracht hat, das war im Dezember und Anfang Januar. Es wurde also erheblich Geld in die Hand genommen, um das System stabil laufen zu lassen. Ich will auch bei all dem, was negativ berichtet wurde, ganz deutlich sagen: Seit Mitte Januar läuft LernSax störungsfrei. Wir hatten dort teilweise bis zu 60.000 gleichzeitige Nutzer am Tag. Das befindet sich in einer relativ hohen Größenordnung, wo andere Systeme zum Teil auch schon Schwierigkeiten haben. Bei Schulclouds anderer Bundesländer gab es ähnliche Probleme. Das soll nicht als Begründung und schon gar nicht als Ausrede dienen, sondern als Hinweis, dass das Ganze nicht einfach war. Wir müssen jetzt zusehen, dass LernSax weiterhin störungsfrei bleibt.

Wichtig ist die Feststellung, dass solche Lernplattformen – und das betrifft nicht nur LernSax – immer wieder Ziel von Cyberangriffen gewesen sind. In der Hochphase ist kein Tag vergangen, an dem nicht mindestens eine Attacke lief: Oft mehrere kleine, die unproblematisch waren, teilweise aber auch größere.

Ein wichtiger Punkt – das haben uns viele Schulen auch bestätigt – ist, dass wir unsere Lernplattformen wie LernSax, OPAL Schule und auch Schullogin benutzerfreundlicher gestalten müssen. Ich habe das selbst bei meinen Kindern erlebt: Man muss sich erst einmal etwas in das System »reinfitzen«, bis es geht. Aber wehe, man kennt das System nicht: Dann steht man erst einmal davor. Nein, also die Benutzerfreundlichkeit muss besser werden und wir müssen uns natürlich auch stärker in eine neue Richtung entwickeln. LernSax ist ja eher eine Verwaltungs- und Kommunikationsplattform, die Inhalte zur Verfügung stellt, Möglichkeiten zum Hochladen gibt und dergleichen mehr. Der nächste Schritt, den wir gehen müssen – jetzt kommt ein fürchterlicher Fachbegriff – sind die »Intelligenten tutoriellen Systeme«. Das klingt erst einmal ein bisschen sperrig: Es ist im Prinzip der Versuch, den Schülern über Software-Lösungen bestimmte Lerninhalte mittels künstlicher Intelligenz nahezubringen. Beispielsweise so, dass ihr da ein Modul mit verschiedenen Aufgabenstellungen durchlauft und die Software anhand eurer Antworten wiederum generiert, was die nächsten Anforderungen sind. Das System stellt quasi fest: Kommt der Schüler gut mit? Kann weitergegangen werden oder müssen wir noch einmal »eine Schleife drehen«?

Es ist also möglich, selbstständig mit dieser Software zu lernen, der Lehrer bekommt dann eine Auswertung über den Lernfortschritt. Das klingt zunächst alles so zukunftsmäßig. Aber die Zukunft steht unmittelbar bevor, wir haben uns gerade auch in der Kultusministerkonferenz den Auftrag gegeben, das testweise anzuwenden. Sachsen wird eines der Bundesländer sein, wo das stattfinden wird. Ich werde in Kürze auch eine Firma in Leipzig besuchen, die da als Partner infrage kommt. Die Verknüpfung zwischen der digitalen Plattform an sich und dem, was wirklich an Online-Lernen möglich ist, ist der nächste Schritt. Richtiges »Online-Lernen« machen wir momentan noch nicht, es ist eher ein online-gestützes Lernen. Da werden wir sicherlich noch ein paar Jahre an Zeit brauchen, aber gerade ihr (Luisa & Emilia), die gerade in der fünften Klasse seid, werdet es sicherlich im Laufe eurer Schulzeit noch erleben, wie solche Systeme zum Einsatz kommen.

Wichtig ist: Diese Systeme ersetzen nichts, sie sind ein zusätzliches Angebot und sollen den Lehrer unterstützen. Da erhoffe ich mir, dass wir die Probleme, die wir während Corona in puncto Digitalisierung hatten, als Schwung nutzen, um solche Systeme einzuführen. Das setzt natürlich voraus, dass wir überall die entsprechende Technik haben, dass wir überall Internet anliegen haben und dass die Technik natürlich auch fehlerfrei läuft. Damit sind wir wieder bei dem Ursprungspunkt: Wir müssen unsere Systeme so verfügbar machen, dass jeder Schüler überall darauf zugreifen kann.

Julius: Auf zwei Kernpunkte Ihrer Antwort möchte ich noch einmal genauer eingehen. Zum einen ist das diese künstliche Intelligenz, deren Bezeichnung ich in der Aufregung schon wieder vergessen habe. Da haben Sie ja beispielsweise mit der Firma aus Leipzig schon recht konkrete Pläne vorgestellt, das klingt vielversprechend. Zum Anderen ging es ja auch um die Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit bei LernSax. Gibt es da auch schon konkretere Pläne oder ist das eher eine Art »generelles Ziel«?

Das ist kein generelles Ziel, sondern das muss schneller realisiert werden. Wir sind dort gerade dabei, indem wir mit einer namenhaften Firma die Usability, also die Benutzerfreundlichkeit, untersuchen und Stück für Stück auch Veränderungen im System vornehmen. Man muss aber auch dazu wissen, dass LernSax eine Plattform ist, die von einer externen Firma betreut und angeboten wird. Diese Firma hat wiederum auch die Plattform erstellt. Das heißt, dass wir immer wieder gehalten sind, gemeinsam mit dieser Firma dafür zu sorgen, dass neue Funktionen implementiert werden. Das ist aber nichts, wo »plötzlich ein neues System dasteht«. Wir sind auch gerade dabei, unsere Plattform Schullogin, in die unter anderem unsere Videokonferenzsoftware BigBlueButton integriert ist, auszurollen. Da arbeiten wir eng mit der TU Dresden zusammen. Es ist auch in Planung, diese ganzen Strukturen Stück für Stück in die Zentralen Internetdienstleistungen des Freistaates SID hinzuverlagern, sodass quasi alles an einem Ort ist. Das wird ungefähr die nächsten zwei Jahre in Anspruch nehmen, um eine größere Verfügbarkeit der Dienste herzustellen.

Julius: Ich glaube, dass gerade dieser Nutzerfreundlichkeits-Aspekt sehr wichtig ist. Klar, nutzerfreundliche Dienste verlocken zum Ausprobieren und vermindern die Scheu einiger Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler, die ja in der häuslichen Lernzeit teilweise sehr offensichtlich geworden ist. Es ist ja schön und gut, wenn man eine Lernplattform hat – man muss aber natürlich auch die Ressourcen anbieten, die Benutzer darauf zu schulen. Das gilt auch für generelle Gegebenheiten in der Schule. Zum Beispiel gibt es in unserer Schule seit kurzem neue interaktive Tafeln. Wenn dann aber trotzdem die Polylux-Folie auf die Tafel gestrahlt wird, dann muss man sich natürlich fragen, was diese Anschaffung gebracht hat.

Solange man diese Tafeln nicht mit Kreide beschreibt, ist ja alles gut… *lacht*

Nein, man muss ja alle Beteiligten in diesem Prozess mitnehmen. Das betrifft Schüler genauso wie Eltern, aber natürlich auch Lehrerinnen und Lehrer. Da kann man nicht mit einer Beglückungs-Fantasie von »Wir haben jetzt eine neue Tafel, jetzt nutze sie mal!« unterwegs sein. Man muss eben Fortbildungs-Angebote unterbreiten – was wir auch tun. Übrigens auch zu LernSax. Selbst in Zeiten des Lockdowns hatten wir online immer Möglichkeiten der Fortbildung, um sich in LernSax hineinzufinden. Das muss man auch weiterhin intensivieren. Es gibt ja neben LernSax noch viele andere Angebote, um digitale Lerninhalte zur Verfügung zu stellen, beispielsweise über die medienpädagogischen Zentren. Es gibt auch immer die Möglichkeit für Lehrerkollegien, sich selbst so eine Fortbildung ins Haus zu holen. Insofern habe ich auch immer die Hoffnung, dass diejenigen, die gut mit der Technik zurechtkommen, auch denen, die sich eher schwer damit tun, helfen. Wir werden und müssen mit Fort- und Weiterbildungen an dieser Stelle auf jeden Fall begleiten.

Julius: Dieses Thema geht schon ein wenig in unsere nächste Frage hinein. Ich möchte hier nichts vorwegnehmen und übergebe das Wort an Luisa.

Luisa: Wie schon gesagt, bleiben wir direkt beim Online-Unterricht. Es gibt viele positive Dinge am Onlinelernen: Wenn man das Tafelbild in der Schule beispielsweise nicht komplett abschreiben konnte, kann man zu Hause einfach nochmal LernSax öffnen und alles in Ruhe notieren. Unsere nächste Frage ist dementsprechend: Auf welche Art und Weise kann der Online-Unterricht in den nächsten Jahren in das normale Unterrichtsgeschehen mit einfließen?

Vorhin habe ich ja schon gesagt, dass eine wichtige Erkenntnis aus der Corona-Zeit die hohe Bedeutung des Präsenzunterrichtes ist. Man muss sich aber auch überlegen, ob es vielleicht bestimmte Unterrichtsinhalte gibt, die ihr euch angeleitet zu Hause online aneignen könnt. Das setzt natürlich voraus, dass ein entsprechendes digitales Gerät zur Verfügung steht und dass eure Lehrer auch bereit sind, eine solche Aufgabe mitzugeben. Dann ist es eine Art Medienkompetenz, die ihr entwickeln sollt: Quellen herauszufinden, zu analysieren und auch zu bewerten. Umgekehrt aber auch die Kommunikation untereinander außerhalb des Schulgebäudes. Da ist natürlich das Thema Videokonferenzen zentral. Diese mussten durch die Pandemie notgedrungen aus dem Boden gestampft werden, werden aber immer verbessert. So werden Nachfragen und Absprachen mit der Gruppe ermöglicht. Ich habe selbst einige Videokonferenzen in verschiedenen Schulen mitgemacht, um zu erfahren, wie und ob das funktioniert. Ich habe dabei festgestellt: So sehr man auch sonst in Schülerkreisen gern sein Leben auf Instagram teilt, wenn es dann darum geht, letztendlich die Kamera in der Videokonferenz anzumachen, ließ es eher stark nach. Aber gut, das sind die Geburtswehen, damit kann man lernen, gut umzugehen und deutlich zu machen, dass die Kamera in der Videokonferenz wichtig für die Rückkopplung ist.

Die nächste Stufe wären dann die schon angesprochenen intelligenten tutoriellen Systeme, wo man also unter der Nutzung künstlicher Intelligenz mittels einer Software selbst Lernfortschritte generieren kann. Da reicht es dann teilweise, wenn der Lehrer den »Ansporn« gibt und später den Erfolg beziehungsweise Misserfolg kontrolliert. So kann man auch zu Hause Bildungsinhalte vermittelt bekommen, wo man vielleicht gar nicht unbedingt merkt, dass man ein Stück im Lernstoff vorangekommen ist. Das kann durchaus helfen.

Luisa: Okay, dann scheint das ja gar nicht so weit entfernt. Vielen Dank für Ihre Antwort.

Johanna: Das passt schon sehr gut auf unsere nächste Frage. Aktuell hört man ja oft, dass die Delta-Variante des Coronavirus auf dem Vormarsch ist. Wir sorgen uns dabei unter anderem, dass unsere Schule wieder geschlossen werden müsste und dadurch eine neue Heimlernzeit bevorstünde. Um dem entgegenzuwirken, möchten wir gern wissen, welche im Vergleich zur zweiten und dritten Welle konsequenteren Maßnahmen bei Ihnen für eine eventuell bevorstehende erneute Virusausbreitung auf der Agenda stehen.

Ich glaube, dass wir gegenüber der Situation aus dem Herbst und aus dem Winter jetzt zwei entscheidende Vorteile haben. Einerseits haben wir die Möglichkeit, das Infektionsgeschehen mittels Tests relativ schnell festzustellen. Das setzen wir seit dem Frühjahr an den Schulen ein. Andererseits sinkt mit jeder Corona-Impfung, die in Sachsen und auch in Deutschland vorgenommen wird, die Gefahr erneuter Schulschließungen.

Das heißt: Das, was wir im Winter und im Frühjahr an Erfahrungen gesammelt haben werden wir nutzen. Wir haben schon jetzt unser Konzept vorgestellt, wie es im kommenden Schuljahr an den Schulen laufen soll. Es gibt im Prinzip drei relevante Inzidenzzahlen: zehn, 35 und 100.

Wenn wir eine Inzidenz unter zehn haben, gibt es einen wöchentlichen Test. Über zehn gilt: zweimal pro Woche testen. Da müssen wir genau hingucken, um frühzeitig zu erkennen, ob es ein starkes Infektionsgeschehen gibt und wir für die entsprechende Schule handeln müssen. Das heißt dann aber noch nicht, alle Schulen wieder flächendeckend schließen zu müssen. Ab einer Inzidenz von 35 gibt es höheres Infektionsgeschehen, die Maskenpflicht gilt dann wieder ganz generell mit Ausnahme des Unterrichts in der Primarstufe. Sollten wir wieder über die 100 kommen, dann müssten wir an den weiterführenden Schulen wieder in Richtung Wechselunterricht zurückgehen. An den Grund- und Förderschulen gilt dann wieder das System der festen Klassen. Was wir im Plan bewusst nicht implementiert haben, sind generelle Schulschließungen. Wir meinen, dass wir mit der Maskenpflicht, mit den Abständen und zusätzlich mit der regelmäßigen Testung von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern können wir auf Infektionsgeschehen dort reagieren, wo es wirklich geschieht. Wenn also an einer bestimmten Schule wirklich etwas ist, können wir beispielsweise veranlassen, dass diese Schule dann für zwei Wochen geschlossen wird. Man muss es aber nicht mehr flächendeckend für den ganzen Landkreis oder gar für den ganzen Freistaat machen. Insofern haben wir damit eigentlich ein ziemlich klar strukturiertes System, wo wir die Möglichkeit haben, Schulbetrieb auch bei erhöhtem Infektionsgeschehen vergleichsweise sicher zu betreiben.

Ich bin jetzt optimistischer als noch im Frühjahr, weil wir jetzt noch mehr Instrumente an der Hand haben.

Julius: Auf lokale Hotspots einzugehen, scheint ein sehr zukunftsorientierter Umgang mit der Pandemie zu sein. Sie haben ja bereits verschiedene Inzidenzgrenzen wie zehn, 35 und 100 benannt. Je weiter die Pandemie voranschreitet, desto größer wird an einigen Stellen aber auch die Kritik am reinen Festhalten an den Inzidenzwerten. Gerade in Sachsen gibt es ja auch die 1.300er-Bettengrenze auf Krankenhaus-Normalstationen. Sehen Sie Möglichkeiten, den Schulbetrieb auch an neuen Faktoren zu koppeln und nicht nur an der Inzidenz?

Diese Bettengrenze werden wir weiterhin in Sachsen beibehalten. Zu den bekannten 1.300 ist nun auch eine neue Zahl hinzugekommen. Diese Zahl steht ja für die COVID-Patienten auf Normalstation. Aus den Erfahrungen des letzten dreiviertel Jahres ist jetzt noch die Zahl von 420 Intensivbetten dazugekommen. Das hat so ein bisschen eine Vorwarn-Funktion: Wenn diese Werte erreicht sind, dann ist absehbar, dass binnen zehn bis vierzehn Tagen die Zahlen wieder stärker ansteigen und das Gesundheitssystem eventuell an seine Grenzen kommt. Deswegen haben wir diese Grenzen festgelegt, die auch weiterhin im Freistaat Sachsen Bestand haben werden.

Ich hoffe sehr, dass wir von dieser reinen Inzidenzzahl-Betrachtung wegkommen. Im schulischen Bereich ist das ein Stück weit schwieriger. Wir wissen ja, dass Kinder am Infektionsgeschehen eher unterdurchschnittlich beteiligt sind und – was die schweren Krankheitsverläufe betrifft – sehr unterdurchschnittlich beteiligt sind. Insofern sind dort diese Zahlen von 1.300 und 420 nur Richtwerte. Wir haben uns in den aktuellen Regelungen ganz bewusst dagegen entschieden, eine einheitliche Obergrenze für Inzidenzen festzulegen, wann Schulen komplett geschlossen werden müssen. Sondern ich sage: Die höchste Stufe ist für uns die 100, dann gehen wir in den Wechselunterricht. Das heißt, dass ich alle Maßnahmen, die getroffen wurden, auch umsetzen kann: Ich halte Abstände, ich trage Maske und ich teste regelmäßig. Und das – meinen wir – ist ein hinreichender Schutz, um den Schulbetrieb zu ermöglichen. Außerdem schauen wir jeden Morgen in die aktuellen Testzahlen der einzelnen Schulen. Wir haben schon seit Frühjahr ein Tool in unserem Schulportal, wo die Schulleitungen jeden Tag die Anzahl der positiven Tests unter Schülern, Lehrern und dem sonstigen Schulpersonal eintragen. Das heißt, ich sehe damit quasi mit Minutenverzögerung hier im Kultusministerium, wo es möglicherweise einen Brennpunkt gibt. Jeden Morgen freuen wir uns dann auf die Liste und schauen, wo wir eventuell mal nachtelefonieren müssen. Das ist zwar jetzt bei den niedrigen Inzidenzen eher seltener der Fall, aber es hat trotzdem Fälle gegeben, wo wir mehrere Infektionen an Schulen schnell feststellen konnten. Genau dieses Modell werden wir auch ganz konsequent im Herbst weiterfahren. Die Zahlen der Normal- und Intensivbetten gelten ja vor allem für andere gesellschaftliche Bereiche. Da geht es dann oft um die Frage, wann beispielshalber Gaststätten oder Veranstaltungen wieder eingeschränkt werden. Das hat für den schulischen Bereich eher weniger Auswirkungen, weil wir eben noch zusätzlich ein anderes Regime dahinter haben: Wir testen regelmäßig. Das dürfen wir nicht vergessen: Schülerinnen und Schüler, überhaupt junge Menschen, sind die einzige Bevölkerungsgruppe, die anlassunabhängig getestet werden. Ihr seid diejenigen, die wirklich regelmäßig getestet werden. Dadurch haben wir einen guten Überblick, wo das Infektionsgeschehen stattfindet und wo nicht. Das war auch unser Ziel im Frühjahr. Dann hat der Bund etwas anderes entschieden und wir mussten wieder schließen. Wir hätten einen anderen Weg gewählt und ich glaube, der wäre auch richtig gewesen. Aber die Bundesnotbremse ist seit Ende Juni Geschichte, worüber wir uns freuen, und deswegen gehen wir unseren Weg dann auch im Herbst.

Julius: Ich erinnere mich zum Beispiel noch an Zeiten im Dezember, als die 7-Tage-Inzidenz an unserer Schule zeitweilig bei ungefähr 2.000 lag, was ja schon ziemlich viel ist. Sie haben bereits verschiedene allgegenwärtige Schutzkonzepte wie Maske tragen und Testen angesprochen. Es gibt aber auch andere, eher umstrittenere Konzepte wie zum Beispiel Luftfilter. Wie stehen Sie dazu?

Das ist momentan eine ganz große Diskussion, die von Vielen befördert wird. Es wird ein Bild gezeichnet von »Ihr müsst jetzt nur Luftfilter einbauen, dann sind die Schulen sichere Orte«. Da muss man jetzt unterscheiden zwischen den mobilen Luftfiltern – also Geräte, die man sich ins Klassenzimmer stellt – und den stationären Luftfiltern.

Solche stationären Anlagen können sicherlich dabei helfen, das Raumklima insgesamt zu verbessern, die Virenlast zu senken, aber beispielsweise auch den CO2-Anteil im Raum zu verringern. Nur muss man eben wissen, dass ich dabei von einer kompletten Sanierung einer Schule mit ein bis zwei Jahren Bauzeit rede, um diese stationären Geräte einzubauen. Das wäre eine erhebliche Investition. Wir können darüber diskutieren, ob bei künftigen Schulneubauten und Generalsanierungen der Einbau solcher Luftfilter als Möglichkeit eröffnet wird. Das ist aber nichts, was schnell mal über den Sommer funktioniert, das muss man ganz deutlich sagen.Bei den mobilen Luftfiltern gibt es eigentlich eine relativ klare Stellungnahme des Umweltbundesamtes aus dem vergangenen Jahr. Sinngemäß und vereinfacht sagt diese Stellungnahme aus, dass diese Geräte schon etwas bewirken können, aber ungefähr genauso effizient sind, wie als wenn sinnvoll mit geöffneten Fenstern gelüftet wird. »Lüften« heißt dann vor allem im Winter ganz konkret Stoßlüften, also nicht 45 Minuten offenes Fenster. Da müssen wir uns die Frage stellen: Wenn schon das Umweltbundesamt sagt, dass diese Geräte ähnlich effizient wie Lüften sind, ist dann der Anschaffungspreis gerechtfertigt? Immerhin geht es um Steuergelder. Wir hatten im Landtag eine Anhörung von Kinder- und Jugendmedizinern, die sind auch diesbezüglich gefragt worden. Und die haben beide unisono gesagt, dass sie davon abraten, die mobilen Luftfilter zu beschaffen, weil sie eine Scheinsicherheit suggerieren, die nichts bringt. Weiterhin haben sie auch noch gesagt, dass sie eher Sorgen hätten, dass die Geräte aufgrund ihrer gewissen Lärmentwicklung belastend für Schüler und Lehrer werden. Das könnte dazu führen, dass man nach einigen Tagen vielleicht das Gerät ganz ausschaltet und sich sagt »Ohne geht es besser«.

Julius: In einigen Bundesländern wie in Bayern wurde ja auch initiiert, dass direkt an Schulen geimpft wird. Vorausgesetzt natürlich, dass die Impfungen für Kinder und Jugendliche zugelassen sind. Wie stehen Sie dazu? Können Sie sich so etwas in Sachsen vorstellen?

Ich bin da kein großer Freund davon. Schulen sind Orte der Wissensvermittlung, der Wertevermittlung, der Kompetenzvermittlung und keine medizinischen Versorgungszentren. Ich glaube, man sollte die Impfungen – genau wie andere Dinge – dort vornehmen, wo sie angezeigt sind. Insofern halte ich es für völlig ausreichend, die bestehenden Strukturen wie die Kinder- und Jugendarztpraxen sowie die Impfzentren beizubehalten. Da müssen wir nicht noch an den Schulen einen »Impftag« organisieren. Es steht natürlich jedem frei, das zu machen – aber wir würden das auf keine Fall vorgeben, weil Schulen meiner Meinung nach für andere Dinge als für Impfungen da sind. Die Tests, die wir dort machen, reichen ja schon.

Julius: Okay. Die letzte Frage zum Thema Corona – dann haben wir dieses schon fast leidige Thema auch abgearbeitet – kommt von Richard.

Richard: Wir haben jetzt schon ziemlich viel über Tests und dergleichen geredet. An unserer Schule ist es nun seit zwei Wochen so, dass gefühlt wieder Normalität herrscht. Wir sind dort ohne Abstand, ohne Maske und wir testen uns – wie sie vorhin schon gesagt haben – auch nur einmal pro Woche. Was würden Sie einer Schülerin oder einem Schüler sagen, der sich durch diese Tatsache extrem verunsichert fühlt?

Ich persönlich sehe das erst einmal vor dem Hintergrund, dass momentan ein Stück mehr Normalität ist. Normalität, die erst einmal grundsätzlich nichts Falsches ist. Es ist ja eine Normalität, die aufgrund der geringen Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung erst möglich geworden ist. Jede Maßnahme, die wir bei Corona ergreifen – egal ob im schulischen Bereich oder irgendwo anders – ist mit einer Grundrechtseinschränkung verbunden. Ob ich nun die Gaststätten schließe oder die Schulen einschränke – jedes Mal werden Freiheitsrechte beschränkt. In einem demokratischen Rechtsstaat ist es so, dass jede vorgenommene Einschränkung begründet und gerechtfertigt werden muss. Wenn ich ein niedriges Infektionsgeschehen habe, wie wir es – Gott sei Dank – aktuell in Sachsen und speziell in Mittelsachsen haben, dann ist jede übermäßige Einschränkung nicht mehr zu rechtfertigen. Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, Schülerinnen und Schülern nicht mehr aufzuerlegen, mit Maske sitzen zu müssen. Natürlich steht es jedem frei, das selbst zu tun. Wenn man das für sein subjektives Sicherheitsempfinden tun will, dann ist das ein gutes Recht, das auch zu machen. Wir verpflichten es aber nicht mehr. Deshalb kommt es entscheidend darauf an – und das ist auch eine Lehre aus den letzten Monaten – wie schnell wir bei wieder ansteigenden Infektionszahlen reagieren können. Wir haben jetzt diese Inzidenzgrenze von zehn eingeführt, über der wir wieder das zweimalige Testen pro Woche durchführen. Diese Grenze ist relativ schnell erreicht: Es reichen einige wenige Fälle im Landkreis aus, um wieder über die Inzidenz von zehn zu kommen. Auch die Inzidenz von 35 ist relativ schnell erreichbar, wo dann wieder generelle Maskenpflicht gilt. Damit kann ich deutlich sagen an die, die Sorgen haben: Wir haben ein relativ sicheres System, weil wir genau hinschauen. Auch, weil wir durch die regelmäßigen Tests genau hinschauen. Die Inzidenzzahlen sind insgesamt sehr niedrig, sodass sich das Risiko dahingehend nochmals reduziert. Jeder kann sich selbst – beispielsweise durch das Tragen einer FFP2-Maske – schützen, wenn er das denn für unbedingt notwendig erachtet. Was wir momentan auch noch als Möglichkeit eröffnen, wenngleich das pädagogisch nicht so sinnvoll ist: Wir haben die Schulbesuchspflicht ausgesetzt. Bis zum Ende des Schuljahres kann jeder selber entscheiden, ob er die Schule besucht oder nicht. Wir haben natürlich die Hoffnung, dass das Nichtbesuchen der Schule auch coronabedingt begründet wird. Ich höre aber auch, dass es da schon die eine oder andere Begründung gegeben hat, wenn es überhaupt eine Begründung gegeben hat. Dort werden wir sicherlich im nächsten Schuljahr anders starten, aber auch das ist momentan noch eine Möglichkeit, bei Unsicherheiten auf den Schulbesuch zu verzichten. Dennoch kann ich nur empfehlen: Aufgrund der geschilderten Sicherheitsmaßnahmen und aufgrund der gegenwärtigen Inzidenz gibt es eigentlich keinen Grund, die Schule nicht zu besuchen.

Julius

Julius

Julius ist als Gründungsmitglied seit 2017 bei CottaConnect dabei. Mittlerweile hat er sein Abitur bestanden und leitet im Schuljahr 2022/2023 das GTA-Angebot gemeinsam mit Herrn Jahn. Dazu gehören mittlerweile viele Tätigkeiten im Hintergrund wie beispielsweise das Klären organisatorischer Angelegenheiten oder das Lektorieren von Artikeln. :)

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