Von Lehrplanreformen und Lieblingsfächern: Unser Interview mit Christian Piwarz

Lehrpläne

Julius: Dann habe ich noch eine Frage, die von den Schülerinnen und Schülern unserer Schule kommt, es geht dabei um die Lehrpläne. Diese sind ja meistens für etwa ⅔ des Schuljahres ausgelegt. Trotz des hohen Ansporns während der Corona-Zeit ist es ja oft so, dass die Lehrpläne nicht vollständig abgearbeitet werden können. Es wurden seitens des Kultusministeriums bereits Streichungen vorgelegt, die den Schülerinnen und Schülern entgegenkommen. Gerade bei den Abiturprüfungen gab es ja unter anderem auch längere Einlesezeiten. Wird es da auch für die nächsten Jahrgänge ähnliche Maßnahmen geben? Das Hauptproblem ist ja, dass eigentlich jeder Jahrgang in gewisser Weise durch Corona beeinträchtigt wurde.

Wir haben ja zwei Elftklässler hier, oder? Da kann ich schon definitiv sagen, dass es in den kommenden Schuljahren für diejenigen, die dann ihre Abschlussprüfung machen, wieder ähnliche Begünstigungen oder Erleichterungen geben wird, wie wir sie in diesem Schuljahr gemacht haben. Also sprich, dass wir rechtzeitig vorher die Prüfungsschwerpunkte benennen in den einzelnen Fächern, sodass also die Lehrer auch wissen, auf was sie weiterhin vorbereiten müssen und auf was sie nicht mehr vorbereiten müssen. Sicherlich werden wir auch in der Prüfungsvorbereitung wieder ähnliche Dinge machen wie wir sie jetzt getan haben. Ich persönlich – das diskutieren wir auch gerade mit unseren Fachleuten hier im Haus – fand es sehr gut, wenngleich es diesmal übermäßig lang war, aber das war auch Corona geschuldet, dass es eine Phase gibt, wo man sich wirklich auf die Prüfung vorbereiten kann. Das gab es ja früher nie. Die Schüler waren ja de facto bis fast zu den Prüfungen noch im normalen Unterricht. Das müssen jetzt keine acht Wochen sein wie dieses Jahr, das war definitiv zu lang, aber wir reden da vielleicht über drei bis vier Wochen. Also eine gewisse Zeit, wo man sich wirklich konzentriert auf die Prüfung vorbereitet, das ist glaube ich ein positiver Effekt. Man muss sich natürlich auch die Prüfungsdurchführung anschauen, ob wir das ähnlich machen wie in diesem Jahr, Stichwort erster und zweiter Termin. Wobei man das ja eher gemacht hat aufgrund der Pandemielage, aber wir wissen ja noch nicht, wie wir im Frühjahr unterwegs sind – da wird es auf jeden Fall etwas geben.Ganz generell muss man sagen: Unser Ziel ist es, die Lernrückstände – auch wenn sie sehr unterschiedlich sind von Klasse zu Klasse und von Schüler zu Schüler – im Laufe des kommenden Jahres aufzuholen. Sie hatten ja schon richtig gesagt, unser Schuljahr ist ungefähr zu zwei Dritteln mit Lehrplanstoff gefüllt, der Rest ist flexibel verwendbar. Da ist auch mal Unterrichtsausfall drin, mal eine Krankheit des Lehrers und dergleichen. Da haben wir also Flexibilitäten drin. Wir werden auch noch vor den Sommerferien Lehrplanreduzierungen in den einzelnen Fächern und in den Jahrgangsstufen an die Schulen kommunizieren, sodass auch der Lehrer im nächsten Schuljahr weiß, was er vielleicht nur überblicksmäßig behandeln muss oder was möglicherweise keine Rolle spielt. Wir achten natürlich darauf, dass das kein Stoff ist, der dann später mal Prüfungsrelevant sein könnte. Logisch, deswegen muss man sich auch Zeit nehmen, sich alles genau anzuschauen, da kann man nicht einfach mal schnell »aus der Hüfte schießen« und sagen »Das machen wir jetzt nicht mehr!« – und dann zum Schluss merken, dass das bei den Abiturprüfungen möglicherweise fehlt. Also entsprechende Reduzierungen werden vorgenommen und dann, denke ich, kann das gelingen – Wenn wir das Schuljahr mit offenen Schulen durchhalten können, dass dann auch ganz viel geschafft wird. Und notfalls hängen wir noch ein zweites Schuljahr in diesem »Sondermodus« dran. Je länger jemand bei uns noch an den Schulen bleibt, umso einfacher ist das, weil wir einfach die Zeit haben, um aufzuholen. Für diejenigen, die kurz vor den Abschlussprüfungen stehen, wird es die entsprechenden Erleichterungen geben. Dieses Versprechen das will ich auch nochmal betonen: Es soll faire Bedingungen in den einzelnen Abschlussprüfungen geben, damit jeder entsprechend seinem Leistungsvermögen einen guten Abschluss machen kann. Anstrengen muss er sich allerdings immer noch selbst. *lacht*

Julius: Das klingt – so glaube ich – ziemlich fair. Weiter zu diesem Thema haben wir noch eine Frage, die von den Schülerinnen und Schülern unserer Schule stammt: Warum werden die Lehrpläne nicht an unsere moderne Gesellschaft angepasst – beziehungsweise wie könnte man sie anpassen? Oder um es mal ein bisschen anders zu formulieren: Obwohl die Frage eventuell etwas abstrakt klingt, zielt sie wahrscheinlich größtenteils auf Digitalisierung und stärkere Medienkompetenz ab. Wir hören oft von Lehrern, die sagen, dass »der Lehrplan angepasst werden müsse«. Was könnte Ihrer Meinung nach in der Hinsicht getan werden?

Ja, diese Forderungen höre ich auch oft, aber wenn es dann konkreter werden soll, wird es meistens ziemlich dünn.

Das Thema Medienkompetenz und auch die politisch-gesellschaftliche Bildung haben wir ja bei der Lehrplanüberarbeitung vom Schuljahr 2019/2020 schon implementiert. Das sahen wir bewusst als Querschnittsaufnahme: Wir haben dafür mit über 100 Fachlehrern zusammengearbeitet. Da ist schon eine Menge passiert, es ist aber eben letztendlich bloß eine Überarbeitung.
Und das, was jetzt eigentlich für uns ansteht, ist eigentlich eine grundsätzliche Lehrplanüberarbeitung. Das haben wir uns auf die Fahne geschrieben, aber Corona hat uns in dieser Hinsicht ungefähr eineinhalb Jahre zurückgeworfen. Diese Lehrplangeneration soll einerseits auf die neuen pädagogischen Herausforderungen, andererseits auch auf die didaktischen Herausforderungen stärker Rücksicht nehmen – Stichwort heterogene Schülerschaft.

Ich will gerne auch eine Diskussion in der Gesellschaft führen – Was müssen denn junge Leute können, wenn sie unser Bildungssystem verlassen? Wir hören ja immer wieder die Klage von den Universitäten, aber auch von den Ausbildungsbetrieben, dass teilweise Grundbezüge nicht funktionieren, in der Mathematik oder in Deutsch, wo ich dann sage: »Na Moment mal, wenn da einer mit einem Realschulabschluss oder mit einem Abitur kommt, der müsste das doch eigentlich können!« Aber es scheint manchmal Augenblickswissen zu sein, was dann in der konkreten Anwendung eher nicht mehr vorhanden ist. Da muss man wirklich drüber reden, wie man das stärker festigen kann. Zum Schluss müssten wir diskutieren – gerade wenn ich hier mit Abiturienten zusammen sitze oder zukünftigen Abiturienten – wie tief wir in die Bildung hereingehen wollen. Ich glaube, dass jemand wie Sie, der eine Befähigung, nicht nur zum Beginnen eines Hochschulstudiums, sondern auch die Möglichkeiten zum erfolgreichen Beenden eines Hochschulstudiums erwirbt, dass der schon einen Wissensstand und ein Know-how mitbekommt, was ihn in die Lage versetzt Dinge, nicht nur zu wissen, sondern dann auch entsprechend anzuwenden.

Ich werde skeptisch bei Forderungen, die ja sehr schön populär sind. »Ich habe zwar jetzt gelernt, wie ich ein Gedicht interpretieren kann – aber meine Steuererklärung, davon weiß ich nichts.«
Da sag ich: Das ist nicht mein Problem. Ich bin zuständig für das Bildungssystem. Da müsste sich eher das deutsche Steuerrecht mal Gedanken machen, wo denn eigentlich das Problem liegt. Also, wir müssen aufpassen miteinander, dass wir nicht die Bildung bagatellisieren. Und so sehr das richtig ist, Grundzüge des wirtschaftlichen Lebens zu kennen, vielleicht auch mal einen Einblick in das Steuersystem zu kennen, so sehr verwahre ich mich dagegen, dass die Schule junge Leute dazu befähigen sollte, ihre Steuererklärung auszufüllen. Das Problem liegt da woanders.Ich glaube, wir müssen junge Menschen ganzheitlich bilden, ihnen Fähigkeiten und Kompetenzen mitgeben, die sie später in ihrem Leben anwenden können. Zumindest jedoch die Idee, wie sie dann später auch weitermachen können. Ich persönlich bin ein großer Befürworter eines reichen Allgemeinwissens in vielen Bereichen, weil es unwahrscheinlich weit trägt und auch solche Schmalspurangebote erreicht. »Mal da ein bisschen was wissen, mal dort ein bisschen was wissen« – und dort kann ich jetzt auch eine Glühlampe einschrauben. Das reicht mir dann an der Stelle nicht, aber die grundsätzliche Frage: »Wie sehen Lehrpläne in Zukunft aus?«, »Was soll von Schulen vermittelt werden?« und »Wie soll das vermittelt werden?«.
Diese Diskussion müssen wir führen und die werden wir auch führen. Wir haben dazu den Titel »Bildungsland Sachsen 2030« entwickelt, wo wir diese Diskussion führen und daraus abgeleitet dann die nächste Lehrplangeneration erarbeiten und ich hoffe, dass sich vor allem auch Schülerinnen und Schüler, genauso wie Lehrerinnen und Lehrer, an diesen Diskussionen beteiligen. Ich bin insgesamt also wirklich ein Freund davon, ein gewisses Bildungsniveau – insbesondere am Gymnasium – zu halten. Sehr einfach kann und soll es nicht sein.

Julius: Ich glaube auch, dass in Sachsen regelmäßig die bundesweit schwersten Abiturprüfungen stattfinden, das hab ich mal irgendwo gelesen.
Sie haben ja konkreter diese Lehrplanreform im Rahmen von »Bildungsland Sachsen 2030« angesprochen. Gibt es da schon Pläne, wann diese Lehrpläne reformiert werden könnten? Ab welchem Schuljahr könnten diese in Kraft treten?

Wir hatten ursprünglich geplant, dass wir die neue Lehrplangeneration im Jahr 2025 an den Start bringen. Das war jedoch vor Corona. Dazu muss man wissen, dass an einer guten Lehrplanerarbeitung viele Fachleute sitzen. Diese Fachleute brauchen ungefähr zwei, vielleicht sogar drei Jahre. Alles muss einheitlich sein, da die Lehrpläne untereinander natürlich Wechselwirkungen haben. Zudem wollen wir auch den Diskussionsprozess vorantreiben, der sicherlich auch eineinhalb Jahre in Anspruch nimmt, weil man miteinander reden muss, um dann die konkreten Aufträge zu erteilen.

Ich glaube ehrlich gesagt, dass das Jahr 2025 für dieses Ziel coronabedingt nicht mehr realistisch sein wird. Wir werden selbsverständlich versuchen, es so schnell wie möglich umzusetzen – vielleicht ist die neue Lehrplangeneration dann im Jahr 2026 oder 2027 fertig. Wenn es schneller geht, soll es mir Recht sein – Aber an dieser Stelle geht ganz klar Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

Julius

Julius

Julius ist als Gründungsmitglied seit 2017 bei CottaConnect dabei. Mittlerweile hat er sein Abitur bestanden und leitet im Schuljahr 2022/2023 das GTA-Angebot gemeinsam mit Herrn Jahn. Dazu gehören mittlerweile viele Tätigkeiten im Hintergrund wie beispielsweise das Klären organisatorischer Angelegenheiten oder das Lektorieren von Artikeln. :)

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